GSK3ß abhängige Mechanismen in Neuronen aus humanen Stammzellmodellen bei der autosomal-rezessiven HSP

Teilprojekt 7

Projektleitung: Beate Winner, Martin Regensburger (Universität Erlangen)

Die Hypothese dieses Projekts lautet: Die verschiedenen Typen der autosomal-rezessiven komplizierten hereditären spastischen Paraplegie (HSP) weisen die gemeinsame Pathophysiologie von Veränderungen im GSK3-Signalweg auf. Diesestellen den gemeinsamen therapeutischen Ansatzpunkt dieses Projekts dar. Mithilfe von humanen neuronalen Modellen für die SPG11 und die SPG15, die aus pluripotenten Stammzellen nach Gen-Knockout mittels CRISPR/Cas9 differenziert werden, werden wir untersuchen, inwiefern der GSK3-Signalweg zur Neurodegeneration bei verschiedenen autosomal-rezessiven HSP-Typen beiträgt. Ferner werden wir Veränderungen des GSK3-Signalwegs in weiteren für die Erkrankung relevanten neuronalen Zelltypen prüfen (Alpha-Motoneurone, sensible Neurone). Darüberhinaus werden wir testen, ob GSK3-Inhibition die Neurodegeneration in CRISPR/Cas9-modifizierten Neuronen und in patientenspezifischen Neuronen normalisieren kann.

Mithilfe dieser Experimente werden die vom GSK3-Signalweg abhängigen neuronalen Zelltypen spezifiziert. Darüber hinaus werden Wirkmechanismen von GSK3-Inhibition bei der autosomal-rezessiven HSP identifiziert. Schließlich zielt das Projekt darauf ab, Therapieansprechen bei komplizierten HSP-Typen vorherzusagen.

Im Teilprojekt 7 „Identifikation der Veränderungen im GSK3-Signalweg bei autosomal-rezessiven Typen der komplizierten HSP anhand von neuralen Modellen aus induziert-pluripotenten Stammzellen“ wurden humane Patienten-abgeleitete Zellmodelle autosomal-rezessiver komplizierter HSP etabliert und hinsichtlich molekularer Veränderungen und möglicher therapeutischer Angriffspunkte mit Fokus auf dem GSK3-Signalweg untersucht. Folgende Erkenntnisse wurden gewonnen:

(1) Untersuchung weiterer neuraler Zelltypen

Bei den autosomal-rezessiven komplizierten HSP handelt es sich um komplizierte HSP-Typen, d.h. dass multiple neurale Systeme von progredienter Neurodegeneration betroffen sind. In bisherigen Arbeiten war jeweils nur eine Krankheitsmodellierung in Vorderhirn-Modellen erfolgt (u.a. Vorderhirn-Vorläuferzellen und kortikale Vorderhirn-Neurone. Im vorliegenden Projekt wurde die Differenzierung patientenspezifischer induziert-pluripotenter Stammzellen (iPSZ) in weitere neurale Zelltypen erfolgreich etabliert: Zum einen wurden spinale (Alpha-)Motoneurone, welche ebenfalls bei den autosomal-rezessiven komplizierten HSP betroffen sind, mit einer hohen Effizienz generiert. Hierbei zeigten sich ähnliche degenerative Signaturen wie bei den kortikalen Neuronen, wobei insbesondere mitochondrial-axonale Beeinträchtigungen herausgearbeitet werden konnten (Güner et al., Front Neurosci 2021). Dieses Erkrankungsmodell des unteren Motoneurons steht somit künftig neben den Vorderhirn-Modellen für Wirkstoff-Untersuchungen zur Verfügung (Pozner et al., Brain 2020). Bei neurodegenerativen Erkrankungen sind auch Gliazellen maßgeblich beteiligt, wurden bislang in Stammzellmodellen jedoch unzureichend berücksichtigt. Zudem sind die HSP-assoziierten Gene einschließlich SPG11 und SPG15 auch in Glia-Zellen exprimiert. Um diese zelluläre Heterogenität des ZNS einzubeziehen und die Rolle von Zell-Zell-Interaktionen zu beleuchten (Simmnacher et al., Front Cell Neurosci 2020; Krach et al., Mol Cell Neurosci 2020), wurde ein Differenzierungsprotokoll in induzierte Mikroglia-ähnliche Zellen erfolgreich etabliert, was den Ausgangspunkt für die Untersuchung immun-vermittelter Mechanismen bei HSP-Subtypen bildet (Lanfer et al., Int J Mol Sci 2022; Regensburger et al., Brain Behav Immun 2023).

(2) GSK3-Signalweg-Validierung

Aufbauend auf bisherige Daten einer GSK3-Überaktivierung in SPG11-Vorderhirnmodellen wurde im vorliegenden Projekt erstmals auch der SPG15-Genotyp dahingehend untersucht. Patienten-spezifische iPSZ von HSP-Betroffenen mit SPG15-Genotyp wurden erfolgreich in iPSZ reprogrammiert, was anhand von Pluripotenzanalysen bestätigt wurde. Für einen validen Vergleich zu gesunden Kontroll-iPSZ und zu SPG11-iPSZ wurden alle drei Gruppen in neurale Vorläuferzellen und schließlich reife Neurone differenziert. Hier wurde zum Einen auch bei SPG15 eine Überaktivierung des GSK3-Signalwegs als therapeutischer Angriffspunkt herausgearbeitet, woraufhin auch die Behandlung mit einem GSK3-Inhibitor charakterisiert werden konnte. Hierbei wurden nicht nur die Effekte bei dem SPG15-Genotypen neu beschrieben, sondern insbesondere auch Vordaten des SPG11-Genotyps unabhängig bestätigt.

(3) Transkriptionelle Dysregulation

Ein weiteres Ziel des Vorhabens bestand in der transkriptionellen Charakterisierung. Während klassische Transkriptom-Analysen bislang nur Expressionsniveaus einzelner Gene verglichen, ermöglichte die bioinformatische Ausrichtung des vorliegenden Projektes die Etablierung einer Analyse-Pipeline für differenzielles mRNA-Splicing. Deren erfolgreiche Anwendung im iPSZ-Modell führte zur Identifikation eines neuen Splicing-Modulators bei Motoneuronerkrankungen (Krach et al., Acta Neuropathol 2022). Darüber hinaus wurde in einem innovativen Ansatz gezeigt, dass mit der vorliegenden Analyse-Pipeline Effekte von „small molecules“ als neuartige ZNS-gängige Therapieform im humanen Modell effizient aufgedeckt werden können (Krach et al., Nat Commun 2022). Dieser Durchbruch eröffnet die Möglichkeit von RNA-basierten Wirkstoff-Screenings bei weiteren Genotypen der HSP sowie insgesamt bei neurogenetischen Erkrankungen.

(4) Rolle weiterer zellulärer Mechanismen

Die Pathophysiologie autosomal-rezessiver komplizierter HSP-Formen wurde mit verschiedenen Signalwegen in Verbindung gebracht, u.a. GSK3, lysosomal-autophagische Abbau-Wege sowie Interaktion von Mitochondrien und endoplasmatischem Retikulum (ER). Das ER spielt eine zentrale Rolle im Zusammenspiel der einzelnen Organelle und weist eine zeitlich hochaufgelöste Signal-Flexibilität hinsichtlich des Calcium-Stoffwechsels auf. Im vorliegenden Projekt wurde dieses „store operated calcium entry“ sowohl im nicht-neuronalen als auch im neuronalen Zellmodell etabliert und dient künftig ebenfalls als Screening-Plattform für Wirkstoffe (Rizo et al., Brain 2022).Im vorliegenden Projekt konnten als Nebenbefund auch weitergehende Analysen von lysomalen und Neurodegenerations-assoziierten Proteinen vorangetrieben werden, welche den Ausgangpunkt für Projekte der anschließenden Förderperiode bildeten (Regensburger et al., Mov Disord 2020; Regensburger et al., Front Cell Dev Biol 2020; Leupold et al., Front Neurol 2022).

(5) Genbasierte Markierung HSP-assoziierter Proteine

Ein wesentliches Hindernis zur Erforschung der autosomal-rezessiven HSP-Typen stellte bislang das Fehlen spezifischer Antikörper dar, um die beteiligten Proteine valide mittels Western-Blot bzw. Immunhistochemie nachweisen zu können. Unter Zuhilfenahme der CRISPR/Cas9-Technologie wurden daher im vorliegenden Projekt verschiedene Zellmodelle dahingehend modifiziert, dass das Protein SPATACSIN, welches vom SPG11-Gen kodiert wird, mit einer C-terminalen Markierung versehen ist (Krumm et al., Stem Cell Res 2021). Die Verwendung dieser Zell-Linien erleichtert künftig die Untersuchung von Lokalisation und Protein-Expressionsniveaus dieses Proteins. Zudem kann die Methode künftig auch auf andere HSP-assoziierte Proteine angewendet werden.

(6) Translationale Patienten-spezifische Forschungsaspekte

Eine wesentliche Stärke des Projektstandortes ist die enge Verknüpfung von Patienten-Daten mit Ergebnissen der Phänotypisierung der jeweiligen Patienten-spezifischen Zellmodelle im Sinne einer personalisierten Medizin (bedside-to-bench). Hierzu ist einerseits die exakte klinische Verfolgung der Kohorte, anderseits aber auch die Entwicklung neuer Erkankungs-Parameter notwendig. Nur auf diese Weise können die in vitro erzielten Ergebnisse künftig auch auf die Betroffenen übertragen werden (bench-to-bedside). Als Nebenergebnis dieser begleitenden Verfolgung der klinischen Kohorte wurden erfolgreich neue klinische Marker in Bildgebung, Neuropsychologie und Stoffwechselvorgängen aufgedeckt (Regensburger et al., BMC Neurol 2020; Utz et al., Orphanet J Rare Dis 2022; Regensburger et al., Nutrients 2022).